Wie Rosbauds Aufnahmen im Schallarchiv des SWR beweisen, hat Rosbaud das gesamte klassisch-romantische Repertoire gepflegt; dennoch mag es im Angesicht dieser spezifischen interpretatorischen Persönlichkeit ein wenig überraschen, dass er sich auch der Sinfonik von Pjotr Iljitsch Tschaikowsky zugewandt hat. Hans Rosbaud hat offenbar selbst gespürt, dass er hier ein Terrain betrat, das ihm nicht unbedingt auf den Leib geschneidert war – das, was der Volksmund die „russische Seele“ nennt, eine Verbindung zwischen melancholischer Lyrik und überbordendem Temperament, war Rosbauds ästhetischen Vorstellungen nicht unbedingt nahe. Rosbaud wusste, dass es nichts bringen würde, dies mit Gewalt zu erzwingen, und so wählte er bei der Vierten Sinfonie Tschaikowskys einen ganz anderen Ansatz – und der gerade macht diese Wiedergabe interessant. Rosbaud zeichnete gewissenhaft die formalmotivische Entwicklung des Werkes nach, also eben das, was recht eigentlich den Rang dieser Sinfonie ausmacht; er beleuchtete die Farben der Instrumentengruppen, besonders prägnant im Scherzo mit dem Wechsel zwischen den „sempre pizzicato“ spielenden Streichern und den blockartig auftretenden Holz- sowie Blechbläsern. Das Werk erstrahlt in formaler Transparenz, auch wenn der Allegro con fuoco-Finalsatz vielleicht etwas steif erscheinen mag. Die Konzeption wirkt überzeugend. Umso verblüffter ist der Hörer bei der Produktion der Fünften Sinfonie. Hier gelingt Rosbaud eine ungeheuer dramatische Wiedergabe ganz aus dem Geiste der unerbittlichen formalen Konsequenz, aber auch aus Tschaikowskys spezifischem Temperament heraus, eine Interpretation wie aus einem Guss, die das Zeug hat, als Referenzaufnahme des Werkes jede Konkurrenz mit berühmten Interpretationen aufzunehmen.