Dass das Trinklied „Ode an die Freude“ 40 Jahre später zur Hymne auf den Fortschritt der Menschheit durch Freude und Vernunft erhöht würde, hätte sich der jugendliche Stürmer und Dränger Friedrich Schiller wohl kaum erträumt. Beethoven war vom schwärmerischen Text fasziniert, baute ihn um, kürzte ihn – und verlieh ihm durch die harmonisch denkbar einfachste Melodie des „Freude, schöner Götterfunken“ das Potenzial, Eckstein einer säkularen Ersatzreligion zu werden.
Aber die Neunte ist nicht nur die „Ode an die Freude“, sondern viel mehr: Ein Makrokosmos der Condition humaine und der mit dieser Bedingtheit verbundenen Gefühle. Zerrissenheit, Aufbegehren, Irrlichter, Vergeben, Resignieren, In-sich-Ruhen, Freude, Überschwang, Begeisterung: Die Neunte ist ein in ihrer Dichte vielleicht nie wieder erreichtes Gemälde dessen, was den Menschen ausmacht.